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VORIGES:   Plan Maison - Plateau Rosa
Die Seilbahn Plan Maison - Furggen (3492m)

Speerspitze der Nachkriegsmoderne

Der Bau der Pendelbahn von Plan Maison zum Furggen auf nahezu 3500 Meter Seehöhe wurde bereits 1951, wenige Jahre nach dem Ende des Weltkriegs, angegangen. Weite Teile von Europa lagen in Schutt und Asche, der Kleinstwagen BMW Isetta entstand am Reißbrett. Federico Fellini drehte in der Tradition des Neorealismus den Film "La Strada", welcher von der beschwerlichen Nachkriegszeit zeugt. Im Kontext dieser Epoche entstand an der Grenze zur Schweiz eine kühne Seilbahn, die weit am erhabenen Fußkleid des Matterhorns hinauf klettern sollte.

Der seilbahntechnische Teil der ohne Zwischenmasten fast drei kilometer dahin schwebenden Gondeln wurde von Professor Vittorio Zignoli berechnet, und durch die piemontesische Firma "Società Nazionale delle Officine di Savigliano" ausgeführt. Letztere erstellte ebenfalls die bekannten Stahlbogenhallen des Mailänder Zentralbahnhofs und ging später in die Hände von FIAT über.

Trajekt
Art Betriebs-
jahre
Hersteller Länge
[m]
Höhen-
differenz
[m]
Fahr-
geschw.
[m/s]
Personen
pro
Gondel
Trnsport-
leistung
[p/h]

Plan Maison
(2560m)

-
Furggen
(3491m)

Pendelbahn
ohne Zwischenstützen
1953
-
1993
Agudio /
Soc. Naz. officine Savigliano
2887 931
9 25 240

Tabbele: Technische Daten der Seilbahn Plan Maison - Furggen

 

Architektur

Breuil/Cervinia galt ehemals als besonders moderner Skiort und in seiner Nobilität durchaus gleichauf mit St.Moritz oder Kitzbühel. Kühn wie ein Adlerhorst und avantgardistisch wie ein Raumschiff sollte daher die Bergstation an der Felskante hoch über dem Abgrund auf 3491 Meter Seehöhe thronen. Für die Planung wurde mit Carlo Mollino ein besonders herausragender Architekt beauftragt. Mollino galt über Jahrzehnte als einer der prägenden Architekten der italienischen Nachkriegsmoderne und erstellte in den 1950er Jahren im Ort Breuil beispielsweise auch das markante Hochhaus "Casa del Sole".

Mollinos Entwurf sah großzügige über der Tiefe schwebende Plattformen vor, die von eleganten Strukturelementen getragen werden sollten, gekrönt von einem Restaurant mit weiter Glasfront.

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1951: Carlo Mollinos Entwurf für die Furggen Bergstation. Die freitragenden Elemente sowie das Restaurant mit seiner Terrasse konnten aufgrund der hohen Baukosten nicht mehr ausgeführt werden.

Der Bau wurde jedoch lediglich in für das Funktionieren der Mechanik minimal möglicher Form ausgeführt und sitzt seit dem eher gedrungen und finster am Felsgrat, ohne seine ursprünglich geplante Repräsentanz spielen zu können. Aus dem Bau herauslugende Armierungseisen deuten heute noch auf die ursprünglich geplanten Erweiterungen hin. Mollino ließ es sich nicht nehmen, das Mobiliar seiner Häuser selber zu konzipieren, so auch an der Bergstation die Tische und Stühle der in Italien stets obligatorischen Bar. Über Jahrzehnte förderten die zwei kleinen und gut mit Plexiglas bedachten Kabinen zu jeweils 25 Personen begeisterte Skisportler und Ausflugsgäste zum Furggengrat am Grenzkamm zum Wallis.

 

Die Skiabfahrt Nummer 9

Die weit in den Sommer hinein befahrbare Skiabfahrt mit der Nummer 9 galt als eine der spektakulärsten Skiabfahrten der Alpen. Sie führte zunächst hart am Grat entlang Richtung Matterhorn, wobei ein unglücklicher Sturz erst hunderte Meter weiter unten auf Schweizer Grund geendet hätte. An einem nach Süden hin abfallenden steilen aber idealen Gletscherhang verließ der Skisportler abrupt den oft windgepresst eisigen Grat. Später führte von der Bergstation bis zum Gletscherhang unterhalb des Grates ein einige hundert Meter langer Fußgängertunnel und ersetzte so die für einige Skifahrer wenig angenehme weil exponierte Gratabfahrt.

Zunächst rassig steil, dann nach einigen eleganten Traversen oberhalb hoher Abgründe immer flüssiger werdend, fuhr man sodann teils entlang angehäufter Moränenwälle, teils zwischen übergroßen Felsbrocken Richtung Tal ab.

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Pistenplan circa 1960: Die von der Furggenseilbahn (rot) erschlossenen Abfahrten (grün) am Fuße des Matterhorns (links).

Das abrupte Ende des Seilbahnbetriebs

Im März 1993 fegte ein nächtlicher Sturm durch das Tal, Eis bildete sich längs der Trag- und Zugseile. Durch ein meteorologisches Phänomen war die Eisbildung diese Nacht besonders ausgeprägt, die wenige Zentimeter starken Stahlseile wuchsen zu baumstammdicken Eisbalken heran, bis das (doppelt geführten) Zugseil unter der Last riss. Die sich in der Bergstation befindende Gondel schoss in Richtung Tal, dennoch gelang der selbsttätig einfallenden Tragseilbremse am Gondellaufwerk nach einigen Dutzend Metern dieses anzuhalten.

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März 1993: Nach dem Riss des Zugseils hängt die Kabine unterhalb der Station fest

So ist vierzig Jahre nach Eröffnung das Ende des Bahnbetriebs unerwartet plötzlich eingetreten. Ein simpler Wiederaufbau scheiterte an den mittlerweile weiterentwickelten Sicherheitsbestimmungen, nach denen der Abstand zwischen den beiden Tragseilen einer derart langen stützenlosen Bahn einen vollständigen Neubau der Bergstation mit entsprechend erweiterter Fahrspur erfordert hätte.

 

Hoffnungen für einen Wiederaufbau

Der für besondere Ingeineruleistungen im Seilbahnbereich bekannte Franzose Denis Creissels (u.a Konstrukteur des Funitels) wurde mit Machbarkeitsstudien zum Wiederaufbau beauftragt. Auflage war, dass die Bausubtanz insbesondere an der schwer zugänglichen Bergstation aus Kostengründen weiter verwendet werden sollte. Durch den Bau einer 70 Meter hohen Zwischenstütze im unteren Streckenabschnitt gedachte er das einzelne drei Kilometer lange Spannfeld in zwei kürzere zu unterteilen. Dadurch hätte der Abstand zwischen den beiden Tragseilen und somit auch die Bausubstanz der beiden Stationen beibehalten können. Andere Optionen waren die Errichtung einer für Pendelbahnen außergewöhnlichen Niederhalterkonstruktion, die derart die Stützenhöhe von 70m auf 20 zu reduziert hätte. Ebenso wurde eine einspurigen Pendelbahn angedacht, wobei die Zugseilschleife mittels Niederhalter vertikal unter der Bahntrasse zurückgeführt werden sollte.

Die Transportkapazität wäre zwar von den ursprünglichen (effektiven) 200 Personen pro Stunde auf etwa 350 gesteigert worden. Im Verhältnis zu heute bei Neubauten wirtschaftlich notwendigen 1200 bis 3000 p/h war dies jedoch zu wenig. Letztendlich wurde daher auf den Wiederaufbau verzichtet. Stattdessen entstand von Plan Maison eine modernisierte Liftkette auf das Plateau Rosa zum dortigen Sommerschigletscher.

 

Die sich selbst überlassene Bergstation

Die verbliebenen Seile wurden endgültig abgezogen. Mangels Erreichbarkeit mit Pistenwalze verblieben zahlreiche Einrichtungsgegenstände zunächst in der Bergstation. So auch das schlichte und elegante Mobiliar des Architekten Carlo Mollino. Zunächst offensichtlich vergessen, erkannte ein hoffentlich rechtmäßiger Connaisseur im Jahr 2006 den Wert der zurückgelassenen Tische und Stühle. Per Hubschrauber wurden diese geborgen und unbestätigten Quellen zufolge später in London überaus teuer versteigert.

Auch der Dieselgenerator, der im Notfall die Station mit Strom versorgt hätte, war von Unbekannten zum Abtransport aus seiner Verankerung gerissen, und durch das Stationsgebäude geschleift worden. Die Eingangstüre wurde zerstört und aufgeweitet, um das Aggregat ins Freie befördern zu können. Zum Abtransport kam es jedoch nicht, die Maschine liegt einem erschöpften Monster gleichend an ungeeigneter Lage unmittelbar vor dem Ausgang.

Die ehemalige Bar wurde durch einen unbekannten Bergfreund von Unrat gesäubert und mit einem eher delikat funktionierenden Gasherd ausgestattet. Durch geborstene Glasfenster dringt Schnee ein, schmilzt im Sommer und dringt durch Holzboden und Stahlbeton. Die Bar ist heute ein feuchtes und nicht unbedingt einladendes Nachtdomizil, welches durch seine Hochgebirgslage jedoch durchaus seinen Reiz hat. Decken und Kochgeschirr sind vorhanden, Wasser zum kochen tropft im Skitunnel. In der Station sammelt sich heute Abfall, ab und an findet sich jemand der diesen in eine weiter hinten gelegene Ecke verfrachtet. Aufgrund der nicht einfachen Erreichbarkeit mag man hoffen, dass sich Besucher auch in Zukunft zu benehmen wissen.

Der südseitige Gletscherhang ist mittlerweile stark eingesackt, der Fußgängertunnel, der ursprünglich den Skifahrer sorglos an den Anfang der Piste 9 brachte, endet heute im Nichts über einem dutzende Meter hohen Abgrund. An einigen Stellen ist der Tunnel eingebrochen, Schnee und Wasser dringen ein.

 

Eine neue Bahn: Touristisches Ideal oder Entweihung der Erhabenheit?

Ein Neubau der Furggenbahn ist von Hobby Skifahrern und Akteuren des Fremdenverkehrs hoch ersehnt. Jedoch stehen dem ökonomische als auch landschaftsästhetische Hindernisse entgegen: Aktuelle Bergbahnanlagen müssen um wirtschaftlich betrieben werden zu können überaus hohe Transportkapazitäten aufweisen. Während die ehemalige Bahn in der Stunde circa 200 Personen zur Bergstation transportieren konnte, wären heute für einen derartigen Gipfel Größenordnungen oberhalb von 1200 Skisportlern unabdingbar (übliche Hochleistungsbahnen erreichen auch 3000 Personen / Stunde).

Damit einhergehend müsste die Abfahrtspiste für die einhergehende Frequenz an Skifahrern und entsprechend naxh modernen Standards, ausgebaut werden: Im oberen Teil wären markante Pistenplanierungen und ausgedehnte Fangnetzanlagen und Polsterungen entlang der Abstürze notwendig, im unteren Teil käme eine künstliche Beschneiung hinzu. Der besonders weite und einsam anmutende Hochgebirgscharakter dieser Abfahrt am Fuße des Matterhorns würde damit verloren gehen. Der Skisportler würde eine austauschbare, auf Bewirtschaftungseffizienz und Sicherheit getrimmte Infrastruktur vorfinden.

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Rot die Furggen Seilbahn, Blau die Piste Nummer 9

Der Zustrom Neugieriger zum hoch gelegenen "Nicht-Ort" der Bergstation wird nunmehr durch die Wirkung vom Internet verstärkt. Damit gehört der ehemalige Skiberg heute einer kleinen Schar an Wanderern, Tourengehern, Seilbahn- und Skisportarcheologen. Im August 2010 wurde ein Geocache in der Bergstation deponiert, Web Blogs und Diskussionsforen als auch diese kleine Dokumentation motivierten eine Zeit lang weitere Interessierte diesen Ort aufzusuchen...

Damit lässt sich in Ruhe eine längst vergangene Skisportepoche erkunden und reflektieren, welche die alte Bahn in 1000 Höhenmetern einst würdig erklimmen ließ. Bis zum Gipfel des Matterhorns hätten für eine dritte Teilstrecke lediglich weitere 1000 Höhenmeter gefehlt...

 

   
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